Am 22. November 1830 strömten rund 10 000 Menschen auf den Ustermer Zimikerhügel, um auf friedliche Weise gegen die Bevormundung der Landschaft durch die Stadt zu demonstrieren. Doch wie kam es zu diesem denkwürdigen Anlass, der die zürcherische Regenerationsepoche einleitete und der zu Recht bis heute gefeiert wird?
Im Mittelalter erwarb die Stadt Zürich grosse Teile der ländlichen Gebiete. Als erkaufte Untertanen standen die Landleute unter der Abhängigkeit ihrer Zürcher Herren. Die Landbevölkerung war
schlecht bis gar nicht gebildet und stand politisch wie auch wirtschaftlich unter dem Druck der Stadt. Erst mit der helvetischen Revolution 1798 proklamierte man die Freiheit und Gleichheit, was
die rechtliche Gleichstellung von Stadt und Landschaft garantieren sollte. Dies war aber nur ein kurzes demokratisches Zwischenspiel unter Druck der französischen Besatzer, aber für die
Landschaft immerhin ein erstes kurzes Ertasten einer demokratischen Gesellschaftsordnung.
Mit der Restauration 1814 witterten die Herrschaften Morgenluft, um ihre verlorene Macht wieder herzustellen. Sie erliessen unter Umgehung des Volkswillens eine neue Verfassung, die sich ganz
nach ihren Wünschen und der konservativen europäischen Mächte richtete. Die Bürger auf dem Lande hatten das Nachsehen, was nicht weiter verwundern konnte, waren sie doch in den Räten stark
untervertreten. Diese Verfassung gab schliesslich den Ausschlag für die politische Entwicklung, die zum Liberalismus und zum Ustertag führte.
Das ländliche Volk begann sich langsam zu bilden. Meist auf Eigeninitiative und - zur Zeit der Restauration ohne staatliche Zuschüsse - wurden gegen neunzig neue Schulhäuser gebaut. Es wurden
auch Gemeindevereine gegründet, die ebenso wie die neuen gemeinnützigen Anstalten auf eine immer selbstständiger und selbstbewusster operierende Landbevölkerung hindeuten. Langsam konnte die
Presse auch die mangelhafte Schulbildung ergänzen und die Leute mit neuen Ideen vertraut machen. Die um Paul Usteri gebildete Opposition, die an den Idealen der Helvetik festhielt, kritisierte
die Arbeit des kleinen Rates, die rückständig und unwissenschaftlich sei. Die von Usteri geführte Neue Zürcher Zeitung und auch andere Blätter trugen die Kritik an die Öffentlichkeit. Die
Verfassung, die keine Revisionsklausel enthielt, und die Regierung wurden immer unpopulärer. Jüngere Kräfte strebten immer mehr nach Geltung. Der Sturz der Aristokratie war nicht mehr
aufzuhalten.
Die Bewegung, die den Sturz ermöglichte, begann wie so oft in der Zürcher Geschichte am Zürichsee.
Die Julirevolution in Paris wirkte zündend auf die Kräfte der Regeneration in verschiedenen Schweizer Kantonen. Angeregt von einer ähnlichen Situation im Kanton Thurgau wurde der Kanton Zürich
von einer raschen Bewegung aus allen möglichen Bevölkerungsgruppen erfasst. Vor allem Dr. Ludwig Snell half den Umschwung vorzubereiten, indem er etliche Denkschriften verfasste. Mit dem Memorial
von Küsnacht wies er dem Liberalismus im Kanton Zürich seinen Weg. Kurze Zeit später versammelten sich rund hundert Männer in Stäfa und beschlossen, eine Tagung in Uster abzuhalten, dem
zentralsten Ort im Kanton Zürich mit einer grossen Kirche.
In einer immensen Schnelligkeit ist es ihnen gelungen, das Volk aufzubieten, um die Missstände anzuprangern. Am 22. November 1830 zogen die Massen aus allen Gegenden in Richtung Uster. Die Kirche
hatte jedoch nicht genügend Platz für die laut Quellen 10'000 bis 12'000 Personen. Kurzerhand wurde die Tagung auf den Zimikerhügel verlegt. In einer gemessenen Ansprache eröffnete «der kluge
Müller» Heinrich Gujer die Versammlung. Als zweiter Redner trat Dr. Hegetschweiler auf die Bühne. Berauscht und hingerissen von der allgemeinen Begeisterung begann er mit den denkwürdigen Worten
Schillers: «Der Mensch ist frei geschaffen, ist frei und würd er in Ketten geboren, ...». Er machte auf die Nachteile der damals geltenden Verfassung aufmerksam und mahnte gleichzeitig zu einer
friedlichen Ordnung, damit die Wünsche auch kundgetan werden könnten. Der dritte Redner, der aus Wädenswil stammende «Helfer Pestalozzis» und «Enthusiast» Steffan, verlas die verschiedenen
Punkte, die man dem Rat einreichen wollte. Es wurden Steuererleichterung, Ablösung der Lasten des Grundbesitzes, Herabsetzung des Zinsfusses und dergleichen verlangt. Aufgrund einer offenen
Abstimmung wurden die Volkswünsche im Ustermemorial zusammengefasst. Das Volk hatte gesprochen. Am Abend ging man einträchtig und fröhlich nach Hause, und keine Ausschreitung hatte den Tag in
Uster getrübt. Nachdem am 6. Dezember die neuen Grossräte mit zwei Dritteln Landvertretern gewählt worden waren, wurde bereits im März 1831 die neue Verfassung in Kraft gesetzt. Mit dem Ustertag
trat der Kanton Zürich in eine neue Ära seiner Geschichte ein.
Quelle: Kläui-Bibliothek
Lesen Sie dazu auch den "Heimatspiegel" vom Oktober 2017
Auf dem Zimikerhügel erinnert
der Ustertag-Gedenkstein an
die denkwürdige Veranstaltung.
Adresse: Denkmalstrasse 7, Uster (google maps)